Würzburg (POW) Mit einer Gedenkfeier im Würzburger Kiliansdom ist am Sonntagnachmittag, 27. Juni, an die Toten und Verletzten der Gewalttat am Barbarossaplatz vom Freitag erinnert worden. Außerdem beteten die Teilnehmer für deren Angehörige, von denen rund 40 an dem Gottesdienst teilnahmen. Bei dem Gebet, dem Bischof Dr. Franz Jung und die evangelisch-lutherische Regionalbischöfin Gisela Bornowski vorstanden, wurden als Zeichen der Trauer Kerzen entzündet. Die Feier fand unter den aktuellen Coronaschutzvorschriften statt. Sie wurde zudem live im Regionalfernsehen sowie im Internet übertragen. Nach dem Gottesdienst trugen sich Ministerpräsident Dr. Markus Söder und weitere Ehrengäste vor dem Dom in das Kondolenzbuch ein.
Bischof Jung sagte in seiner Ansprache, viele Menschen teilten das Empfinden, das der Prophet Jeremia in seinem dritten Klagelied so ausdrücke: „Du hast mich aus dem Frieden hinausgestoßen; ich habe vergessen, was Glück ist.“ Durch den Tod von drei Frauen und die schweren Verletzungen von sieben Personen hätten viele Familien unendliches Leid erfahren. „Mit einem Schlag wurde uns wieder ins Bewusstsein gerufen, wie brüchig unsere scheinbare Normalität ist. Statt in ein ruhiges Wochenende überzuleiten, riss der letzte Freitagabend uns aus unserer Ruhe heraus, bescherte uns Stunden quälender Ungewissheit und hinterließ Schockstarre und Angst.“
Menschen suchten nach Erklärungen und fänden sie nicht. „Wir möchten verstehen und begreifen nicht. Wir wollen nachvollziehen und bleiben doch immer wieder hängen in unserem Bemühen, das Unbegreifliche begreiflich zu machen“, sagte der Bischof. Aber selbst wenn es Erklärungen gäbe und sich der Tathergang aufklären ließe, bliebe immer noch offen, warum es genau diese drei Frauen und diese Verletzten getroffen habe. „Gerade das Irrationale macht uns Angst. Im Letzten erschüttert es unser Vertrauen in Gott.“
In die Trauer mischten sich nach den Worten von Bischof Jung Zorn, Empörung, der Wunsch nach Vergeltung. „Über allem aber steht am Ende das lähmende Gefühl der Ohnmacht. Das Empfinden der eigenen Hilflosigkeit tut weh, auch wenn so viele Menschen am Ende dankenswerterweise mitgeholfen, mitgesorgt, ja mitgebangt haben, so dass noch Schlimmeres verhindert werden konnte.“ Hilflosigkeit führe die Menschen an ihre Grenzen und zeige die eigene Endlichkeit auf. „Gerade in dieser Hilflosigkeit wollen wir heute einfach Präsenz zeigen.“ Dazu gehöre auch, die eigene Ohnmacht auszuhalten. „Aushalten bei den Angehörigen der Toten und Verletzten, denen unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gilt in dieser so schweren Stunde.“ Die Bilder des Schreckens hätten sich auch den Augenzeugen eingebrannt. „Immer denkt die Seele daran und ist betrübt.“ Bischof Jung dankte der Notfallseelsorge, die durch ihre Unterstützung dazu beitrage, dass traumatisierte Menschen mit diesen bedrängenden Bildern nicht alleine gelassen werden. „Mögen diese Eindrücke in all ihrer Brutalität nicht der Wermut sein, der ein Leben nach der Bluttat vollends vergiftet.“
Der Prophet Jeremia fasse sich nach all seiner Trauer, entkräftet vom Klagen, noch ein Herz, hob der Bischof hervor. Er richte sich an der Gewissheit auf, dass Gott die heilige Stadt Jerusalem nicht aufgebe. „Es ist die Stadt, in der Gewalt nicht mit Gewalt beantwortet wird. Die Stadt, in der Angst nicht in Aggression umschlägt. Die Stadt, in der Verzweiflung nicht in Hass mündet. Die Stadt, in der Verletzung nicht neue Verletzung gebiert.“ Bischof Jung ermunterte dazu, schweigend auf die Hilfe Gottes zu harren. „Schweigend, weil uns Worte fehlen angesichts der Dimensionen dessen, was da mitten unter uns geschehen ist. Schweigend, weil das Erlebte Raum braucht, um im Prozess der Trauer verarbeitet werden zu können. Schweigend, weil unsere Anteilnahme keine Worte verträgt, aber auch keine Worte braucht, wenn liebende Gegenwart uns in dieser Stunde erfüllt.“ Der Bischof dankte Polizei und Rettungskräften für ihren aufopferungsvollen Einsatz und bat Gott um Frieden und Versöhnung angesichts der erfahrenen Schrecken. „Denn nur so wird nach den Tagen der Trauer ein Neuanfang möglich werden, über dem der Segen Gottes liegt.“
„Manche Lasten sind so schwer, dass man darunter zusammenbricht. Lasten, die aus heiterem Himmel auf uns zukommen, unfassbar und völlig sinnlos“, sagte die evangelisch-lutherische Regionalbischöfin Gisela Bornowski mit Blick auf die Gewalttat vom vergangenen Freitag. Sie dankte denen, die durch ihr Eingreifen Schlimmeres verhindert und schnelle Hilfe geleistet haben. Menschen mit Migrationshintergrund in Würzburg empfänden im Augenblick eine große Last. „Sie sind selbst voller Entsetzen und Trauer über dieses Verbrechen, aber auch voll Angst vor etwaigen Anfeindungen gegen sie.“ Die Stadtgesellschaft halte jetzt zusammen und stehe an der Seite der Betroffenen. „Wir halten zusammen über ethnische, politische, konfessionelle und religiöse Unterschiede hinweg. Alle unsere Lasten dürfen wir vor Gott bringen, der voller Erbarmen ist. Er will uns trösten und neue Kraft schenken“, sagte die Regionalbischöfin.
„Es tut so weh, es ist einfach unfassbar“, sagte der bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder. Die Feier im Dom sei ein Beitrag dazu, den Angehörigen der Opfer die Anteilnahme zu zeigen. Am vergangenen Freitag hätten viele Menschen nach den langen beschwerlichen Monaten des Corona-Winters erstmals wieder ein wenig Freiheit verspürt und Pläne für den Sommer geschmiedet. „Innerhalb weniger Sekunden – alles zerstört, alles weg.“ Alle bewegten jetzt die gleichen Fragen: Warum jetzt? Warum wir? Hätte es mich auch treffen können? „Als gläubiger Christ stellt sich auch die Frage: Wie konnte Gott das zulassen?“ Söder kündigte an, dass die Hintergründe der Tat aufgearbeitet und gegebenenfalls Konsequenzen gezogen werden. „Aber eines muss klar sein: Mit Mutmaßungen, Klischees und Vorverurteilungen vieler Menschen lindert man keinen Schmerz, spendet man keinen Trost, sondern fügt man nur neue Verletzungen zu. Wir dürfen eine solche hasserfüllte Tat niemals mit Hass oder Rache beantworten.“ Besonnenheit sei jetzt gefragt. Der Täter habe zwar Migrationshintergrund gehabt, aber es hätten auch Menschen mit Migrationshintergrund geholfen. Der Staat habe einen Schutzauftrag, der allen Menschen gelte, egal ob sie hier geboren oder nach Deutschland gekommen seien. Den Angehörigen der Verletzten und Getöteten versicherte Söder: „Sie sind nicht allein.“ Er hoffe, dass die Wunden, die durch das Ereignis an der Seele entstanden seien, geheilt werden können.
„Ich weiß nicht, welches die richtigen Worte sind, die ich an Sie richten kann, die nach nicht einmal 48 Stunden Trost geben, Antwort geben oder Hoffnung spenden“, sagte Oberbürgermeister Christian Schuchardt zu Beginn der Gedenkfeier. „Heute und hier möchten wir Ihnen sagen: Wir sind für Sie da, egal was Sie brauchen. Indem wir gemeinsam trauern, aber auch, wenn Sie Hilfe brauchen.“ Er sei am Freitagabend gelähmt und erschüttert vor Entsetzen gewesen. „Ich habe geweint um die Opfer und die Angehörigen. Um die Menschen, die an einem friedlichen und schönen Sommerabend jäh überfallen wurden, mit einer Stichwaffe getötet und verletzt wurden.“ Menschen mit Zivilcourage hätten sich spontan, unter Gefahr für ihr eigenes Leben, dem Täter entgegengeworfen. Er habe aber auch um die Stadt Würzburg geweint, fuhr er fort. „Weil dieses Gleichsetzen so naheliegend ist. Geflüchteter, Gewalttäter, Glaubenskrieger und Terrorist –Massaker.“ Die Verbrechen Einzelner seien aber niemals auf Bevölkerungsgruppen, Religionen oder Staatsangehörigkeiten zurückzuführen oder auszudehnen, betonte Schuchardt. Genauso wenig, wie die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg pauschal verurteilt worden seien, gelte das jetzt auch für Somalier oder Geflüchtete. „Dieses Schubladendenken muss ein Ende haben – und gleichzeitig wird es kein Ende haben.“ Es brauche Aufklärung, aber auch konsequentes staatliches Handeln, um für jeden Einzelnen ein friedliches und selbstbestimmtes Dasein zu ermöglichen. „Wir können unser irdisches Dasein zur kollektiven Hölle oder zum Paradies auf Erden machen.“ Er dankte den „couragierten Bürgern, die sich dem Attentäter entgegengeworfen haben“, den Rettungskräften und der Polizei, den Bürgerinnen und Bürgern für ihre Empathie sowie allen, die sich für das Bewahren des Friedens in der Stadtgesellschaft einsetzen. „Die Trauer um die verlorenen Menschen wird niemals enden, denn sie wird Teil unser aller Leben.“
„Ehrlich gesagt bin ich schockiert und verwirrt von diesem schrecklichen Vorfall. Jeder von uns könnte Opfer eines solchen Attentats sein“, erklärte Ahmet Bastürk, Vertreter der muslimischen Gemeinde in Würzburg. Am Freitagabend habe ihn ein zehnjähriger Junge gefragt, warum Menschen so schlimme Dinge täten. „Ich weiß es wirklich nicht. Diese Tat überragt in jeglicher Hinsicht mein Vorstellungsvermögen und meine Empathie. Meine Gedanken drehen sich einzig um die Opfer und die Angehörigen.“ Der gleiche Junge, der ihn gefragt habe, habe ihm am anderen Tag eine Antwort auf seine Frage gegeben. „Vielleicht töten Menschen andere Menschen, weil sie nie erfahren haben, wie sehr Mama und Papa sie liebhaben.“ An Tagen wie diesen müssten alle Würzburger näher zusammenkommen, miteinander reden und Gemeinschaft suchen, einfach zuhören oder auch einander in den Arm nehmen. Der Koran betone in Sure 5,32: „Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte. Wenn jemand ein Leben rettet, so ist es, als ob er alle Menschen gerettet hätte.“ Immer wenn er in den Medien von der Tötung von unschuldigen Zivilisten erfahre, spiegele dieser Vers sein Gefühlsleben wider, sagte Bastürk. Er dankte denen für die Zivilcourage, die sich mit Stühlen, Besen und Fäusten „einem psychopathischen Mann mit Messer“ in den Weg gestellt und so viele Leben gerettet hätten. Es liege an den Würzburgern, jetzt auf die Betroffenen zuzugehen und sie zu begleiten. „Wir als Religionsgemeinschaft werden uns dafür weiterhin starkmachen. Gebrochene Herzen können heilen, aber dies braucht viel Zeit und viel Liebe.“
Seit Freitag sei in seiner Heimatstadt nichts mehr, wie es vorher war, sagte Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. „Wir gedenken heute der Opfer des Messerattentats. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen, bei den Verletzten, aber auch bei all denen, die unvorstellbare Bilder sehen und erleben mussten.“ Es sei ihm sehr wichtig, dieses Mitgefühl auch der jüdischen Bürger Würzburgs zum Ausdruck zu bringen. „Wir sind zusammengekommen, um zu göttlichem Beistand für die direkt Betroffenen, für die Angehörigen, für die Verletzten, aber auch für alle Menschen in dieser Stadt zu bitten. Was uns eint, das ist der gemeinsame Gott den wir haben, ob Christen, ob Muslime oder Juden“ sagte Schuster und betonte: „Gerade jetzt halte ich es für wichtig, jedem Versuch zu widerstehen, unsere Gesellschaft zu spalten.“ Couragierte Bürger hätten es vermocht, noch Schlimmeres zu verhindern. Er persönlich habe die Hoffnung: „So schlimm das ist, was wir am Freitag erleben mussten – dass es dadurch der Stadtgesellschaft gelingt, noch fester zusammenzuwachsen.“ Den Angehörigen der Opfer gab er den Wunsch mit auf den Weg, dass es ihnen in der größten Trauer gelingen möge, sich an die gemeinsam erlebten Freuden mit den Verstorbenen zu erinnern: „Damit diese so in Ihnen weiterleben.“
Vor der Gedenkfeier übermittelte Bischof Bernardo Johannes Bahlmann aus Würzburgs brasilianischem Partnerbistum Óbidos seine Anteilnahme. Der Limburger Bischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Dr. Georg Bätzing schrieb seinem Amtskollegen Jung: „Lieber Franz, Dir und den Menschen in Deiner Bischofsstadt herzliche Anteilnahme an dem schrecklichen Geschehen vom Freitag. Und, wenn Ihr heute Nachmittag miteinander betet und gedenkt, dann bin ich in Gedanken bei Euch!“